Oder: Warum HR häufig kein Bein an die Erde bekommt
Wie sich hybride Arbeit auf Leistung auswirkt, warum HR-Verantwortliche Daten von Beratungen NICHT ernst nehmen sollten und weshalb es in der Wissenschaft aus gutem Grund enorm aufwändige Begutachtungsprozesse gibt.
Bin als Fan von Peter M. Wald heute nichts ahnend und frohen Mutes ein paar Links zu hybrider Arbeit gefolgt, dabei auf einen Beitrag der COMPUTERWOCHE gestoßen und habe mir dann Zeug der Unternehmensberatung Gartner zum Thema Human-Centric Work Design reingezogen. Warum sowas erzählen? Wo ist der Mehrwert? Und was hat das mit Euch zu tun?
Hybride Arbeit ist die Zukunft. Logo. Aber bei Beiträgen von Beratungsbuden geht mir nicht nur regelmäßig der Hut hoch, sondern ich sehe darin auch einen wichtigen Faktor für die geringe Teilhabe von HR/P&C an Unternehmensentscheidungen. Ich mein: schaut Euch dieses Bild als Beispiel an.
Super Design, ganz intuitiv und mit konkreten Zahlen hinterlegt. Außerdem bedienen die die Buzzwords des aktuellen Management-Bullshit-Bingo. Was soll daran so schlimm sein? Drei Punkte: 1. Die Effektstärke ist schlichtweg lächerlich. Ich weiß nicht, wem die solchen Quark verkaufen möchten. Wir reden bei seriösen Erkenntnissen zu wirtschaftspsychologischen Sachverhalten über Effekte in ganz anderen Maßstäben. Viel kleiner. Ohne Ausnahme. Und das ist auch gar nicht schlimm, denn 20% als recht typische Größe sind ja schon ein gewaltiger Hebel. Wenn Gartner auf einmal Ergebnisse in komplett neuen Dimensionen berichten zu können glaubt, ist das entweder eine irre Sensation oder Bullshit. Seufz. Durch Working From Home ergibt sich datengestützt in der meines Wissens einzigen randomisierten Interventionsstudie mit Kontrollgruppendesign vor der Pandemie eine Produktivitätssteigerung von 13% (1). Ein Großteil davon, nämlich 9%, kommt durch weniger Pausen und krankheitsbedingte Abwesenheit zustande, die restlichen 4% durch höhere Produktivität am Arbeitsplatz im engeren Sinne. Und das ist großartig! Die häufig gehörte Skepsis, dass Menschen im Home Office die Füße überproportional hochlegen, ist unbegründet. Was für eine wunderbare Nachricht inklusive handfester Argumente. Die Effekte sind real, nachweisbar und robust. Yeah! Und daran hat sich meines Wissens bis heute nichts geändert. Die letzten mir bekannten Daten und Erkenntnisse in größerem Maßstab gabs vor drei Monaten (2). Durch zunehmendes Erfahrungswissen plus mehr Umsetzung/Unterstützung in den Unternehmen plus kontinuierlich bessere Technologien ist beim Thema hybrider Arbeit selbstredend noch mehr drin. Für alle Beteiligten. Mega! Aber nen Faktor der Liga „3.X“? Come on! 2. Die Aussage ist total verschwurbelt. Was zur Hölle soll ein kausaler Effekt in mehr als 3facher „Likelihood“ eigentlich genau sein? Auf welche Baseline bezieht sich die Multiplikation? Wer kann mit derlei Aussagen konkret etwas anfangen? Ich jedenfalls nicht. Was auch immer damit gemeint ist: das lässt sich – wenn überhaupt – nur mit sehr weitreichenden Verteilungsannahmen und entsprechenden Interpretationen von irgendwelchen wackeligen Daten quantifizieren. Anders kann zumindest ich mir das nicht vorstellen. Aber ich lerne gerne dazu. Erklärt mir, wie sowas zustandekommt. Bin ganz Ohr. Bis dahin: puh, ne, sorry. 3. Hybrid work ist für ca. 55% der Beschäftigten NICHT möglich. Das sind Menschen in Produktion, Pflege, Gastronomie, Krankenhäusern etc. pp. 15% können komplett autark arbeiten. Die betrifft die Diskussion auch nicht. Wenn wir auf hybride Arbeit blicken, reden wir also von gerade mal 30% (3). Das ist überschaubar. Allgemeingültige Aussagen empfinde ich da als ambitioniert. Das soll nun in Summe gar kein Bashing speziell von Gartner sein, sondern vielmehr ein grundsätzliches Problem aufzeigen. Beratungsunternehmen liefern KEINE neutralen Daten. Die erheben und publizieren Daten, um ihr Zeug zu verbimmeln. Punkt. Daten von Beratungen würde ich NICHT ernstnehmen. Diese Erkenntnis muss sich noch herumsprechen. In der Wissenschaft gibt es aus gutem Grund enorm aufwändige Begutachtungsprozesse. Der sogenannte „Peer Review“ zeichnet robuste Erkenntnisse und rigide Forschung aus. Bei Beratungshäusern – übrigens ebenso wie bei Monographien – ist das NICHT der Fall. Wenn sich HR-Verantwortliche nun auf spektakuläre Daten von Beratungsbuden verlassen, diese übernehmen und der eigenen Geschäftsführung unterbreiten, entstehen komplett unrealistische Erwartungshaltungen. Die sind erstens nicht erfüllbar, sorgen zweitens für massiven Frust auf allen Seiten und vertiefen drittens die Skepsis vor Ideen aus dem HR. Alle verlieren. Das ist schade und bricht uns im HR zu häufig das Genick. People Analytics ist die Zukunft. Aber mit vernünftigen Zahlen bitte. Nicht mit Quatsch. Quellen: (1): Bloom, N., Liang, J., Roberts, J., & Ying, Z. J. (2015). Does working from home work? Evidence from a Chinese experiment. The Quarterly journal of economics , 130 (1), 165-218. (2) Hackney, A., Yung, M., Somasundram, K. G., Nowrouzi-Kia, B., Oakman, J., & Yazdani, A. (2022). Working in the digital economy: A systematic review of the impact of work from home arrangements on personal and organizational performance and productivity. Plos one , 17 (10), e0274728. (3) Barrero, J. M., Bloom, N., & Davis, S. J. (2021). Why working from home will stick (No. w28731). National Bureau of Economic Research.
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