Sind Deutsche faul, träge und dekadent geworden?

10.06.2024 | Allgemein | 1 Kommentar

Diese Behauptung liest man in letzter Zeit ja häufiger, zum Beispiel von Marie-Christine Ostermann, der Präsidentin des Verbands deutscher Familienunternehmen [1].

Begründet wird das mit der wöchentlichen Arbeitszeit, die in Deutschland erheblich niedriger sei als in anderen Ländern. Das stimmt zwar rein numerisch, doch es ist dennoch vollkommener Quatsch.

Warum ist da nichts dran?
Was ist der Fehler?
Wie sieht es stattdessen aus?

Auf den ersten Blick ist die Faktenlage eindeutig. Wenn man sich die Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2024 anschaut [2], dann arbeiten die Menschen in Griechenland 41 Stunden pro Woche und die in Deutschland nur mickrige 34,7.

Dabei ist Deutschland auf dieser Skala der angeblichen Faulheit in Gesellschaft beispielsweise von Österreich (35,7) und wird nur noch von den Niederlanden mit unfassbaren 31,3 Stunden pro Woche unterboten. Ähnliche Zahlen kommen auch von Eurostat [3].

Was aussieht wie spätrömische Dekadenz, maßlose Faulheit und ein veritabler Skandal, ist in Wahrheit eine Scheinkorrelation. Denn die Art der Erhebung ist verunreinigt von Außenvariablen, die in diese Zahlen massiv hineinwirken. Eigentlich misst diese Statistik vor allem, wie offen die jeweiligen Länder und Gesellschaften für die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt sind. Genau die Länder mit den angeblich geringsten Wochenarbeitszeiten haben die höchsten Quoten an Teilzeitjobs – und das gilt besonders für Frauen. Wer liegt da in Europa vorne? Die Niederlande und Österreich mit 69% der Frauen in Teilzeitjobs gefolgt von Deutschland mit 65% [4].

Die Deutschen, deren Faulheit uns die Daten auf den ersten Blick suggerieren, sind gemessen an Wochenstunden keineswegs fauler als z.B. die Menschen in Griechenland. Rechnen wir es mal etwas sauberer aus. In Griechenland hatten laut Statista im Jahr 2022 rund 4,14 von 10,43 Millionen Menschen einen Job [5]. Pro Kopf in Griechenland sind das 16,27 Stunden pro Woche. In Deutschland hatten im gleichen Jahr 45,8 von 83,8 Millionen einen Job [5]. Pro Kopf in Deutschland sind das 18,96 Stunden pro Woche.

Was wir mit der durschschnittlichen Zahl der geleisteten Wochenstunden messen, ist nicht etwa Fleiß. Es ist die Progressivität der Gesellschaft in Bezug auf die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Teilhabe von Frauen.

Deshalb findet sich Deutschland in einer Gruppe mit den Niederlanden, Finnland, Dänemark und Österreich. Mit Fleiß hat das nix zu tun.

[1]
https://www.linkedin.com/posts/marie-christine-ostermann_deutschland-viertagewoche-griechenland-activity-7204345948448157697-jbEi?utm_source=share&utm_medium=member_desktop
[2]
https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Qualitaet-der-Arbeit/_dimension-3/01_woechentliche-arbeitszeitl.html
[3]
https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20230920-1#:~:text=In%202022%2C%20the%20usual%20working,and%20Bulgaria%20(40.2%20both)

[4]
https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Part-time_and_full-time_employment_-_statistics

[5]
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/_inhalt.html

1 Kommentar

  1. Queen All

    Sehr spannender Ansatz! Wobei sich hier wieder sehr eindeutig zeigt „traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“. Bei der Gelegenheit könnte man auch gleich noch die Diskussion um das Renteneintrittsalter auf machen. Da sind uns einige Nachbarländer ja voraus (oder wir ihnen, je nach Sichtweise). Da fragt aber am Ende keiner nach der Summe der geleisteten Stunden. Wichtig ist nur, was man eingezahlt hat. Ob das so gerecht ist, darüber lässt sich auch hervorragend diskutieren.

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