Narzissmus – Warum wir aktuell ignorant, bigott und kurzsichtig handeln
Aktuell ist es gerade wieder total in: die bösen Narzisst:innen in den Chefetagen bekommen ihr Fett weg. Ich versteh schon: Managementbashing ist reinigend und macht Spaß. Okay. Aber mittlerweile macht sogar die alt-ehrwürdige Academy of Management mit. Schaut gerne selbst: https://journals.aom.org/doi/10.5465/amp.2017.0005.summary
Da steht dann drin, an welchen 15 Zeichen man erkennt, dass man mit Arschlöchern zusammenarbeitet. Oder was man an Miesepetrigkeiten von narzisstischen CEOs erwarten muss. Oder wie durch Narzissmus die Zusammenarbeit und Integrität erodiert.
Stimmt auch alles. Muss man diskutieren. Narzissmus hat negative Effekte. Okay. Aber eines fehlt eigentlich allen Diskussionen, die ich so wahrnehme: der Glaube an die Menschen. Das Vertrauen darauf, dass man Dinge verändern kann. Gemeinsam. Und quatschen wir nicht gerade dauernd vom Growth Mindset, also vom Glauben, dass man sich in jedem Bereich positiv entwickeln und verbessern kann? Gilt das beim Narzissmus nicht oder wie?
Narzisst:innen aus dem Weg gehen, ist keine Lösung
Richtig ist, klinisch betrachtet, dass Narzismuss eine Persönlichkeitsstörung ist, die durch eine gestörte Wahrnehmung der eigenen Person gekennzeichnet ist. Selbst sehr erfahrene Therapeut:innen tun sich mit Hardcore-Narzisst:innen schwer und bei manchen dieser Spezies ist vermutlich Hopfen und Malz verloren. Parallel ist jedoch Narzissmus auch eine Persönlichkeitseigenschaft. Wir alle tragen narzisstische Elemente in uns – aber halt in unterschiedlichen Ausmaßen.
Wir vergessen bei Narzissmus häufig einen positiven, lösungsorientierten Ansatz. Und wir radikalisieren sprachlich. Handreichungen für den Umgang mit Narzissmus in Organisationen sind bislang entweder sehr resolut (etwa die Identifikation und rigorose Nichtberücksichtigung von Narzisst:innen bereits im Recruiting) oder bleiben hart transaktional auf einen im Kern passiv-aggressiven Umgang bezogen (strikt positives Feedback geben, Kritik nur wattig verpackt mit viel Lob verkleistert unter vier Augen, ansonsten jedoch maximale Vermeidung). Das Motto lautet: Narzisst:innen kann man nicht ändern, man muss sie umgehen. Das ist echt ungesund für alle Beteiligten.
Bislang fehlen Ideen, mit Narzissmus auf eine konstruktive Weise umzugehen, z.B. in der Personalentwicklung. Eine effektive Begleitung von Mitarbeiter:innen und (nachwachsenden) Führungskräften ist insbesondere wichtig, weil Narzissmus in unterschiedlicher Intensität vorliegen kann und sich narzisstische Neigungen im Verlauf eines Karriereweges positiv oder zum Negativen entwickeln können. Ein konstruktiver Entwicklungsansatz wird in Zukunft außerdem umso wichtiger, da das Ausmaß an Narzissmus in den nachrückenden Generationen zunimmt – übrigens gibt es spannende und zum Teil kontraintuitive Zusammenhänge zwischen Narzissmus und der Nutzung von Social Media, mehr unter (1). Last, but not least gibt es in herausgehobenen Führungspositionen ebenso wie in besonders vulnerablen Berufen (z.B. im Profifußball) einen überproportional hohen Anteil an Narzisst:innen. Da ist der Handlungsdruck entsprechend höher.
Evidenzbasierte Vorschläge für einen konstruktiven Umgang
Zentraler Bestandteil von Narzissmus ist ein geringer Selbstwert, der zu Verletzungserleben führt und in dysfunktionale Reaktionen mündet. Narzisstische Persönlichkeiten weisen einen Mangel an Empathie auf, reagieren überzogen auf wahrgenommene Kritik und neigen zu Manipulationen, Machtmissbrauch und Täuschungen.
Warum muss man solche Leute feuern oder feindlich ausgrenzen? Warum kann man denen nicht helfen? Vor allem: was soll man denn machen, wenn die eigenen Vorgesetzten zu Narzissmus neigen? Dann sind Feuern oder Ausgrenzen ja keine so wahnsinnig guten Ideen.
In der Forschung gibt’s bereits konkrete Vorschläge. Demut ist erstens ein Beispiel dafür. Durch die Erhöhung des Selbstwerts bei gleichzeitiger Vermittlung der Bedeutung von Demut werden die dysfunktionalen Effekte von Narzissmus überwunden. So wird die nicht gegen andere gerichtete, positive Ich-Stärke (Selbstwirksamkeitsüberzeugung) gefördert und die Fähigkeit zur Wertschätzung und Empathie gezielt ausgebaut. Das resultiert in einem Mehr an Zufriedenheit, Leistung und Engagement und einem besseren Gelingen des menschlichen Zusammenwirkens, zum Beispiel auch in Hochleistungsteams. Das wurde sogar bereits in einer Querschnittstudie nachgewiesen (1).
Zweitens ist selbst Narzissmus nicht nur ein Werk des Teufels, sondern bringt in seiner konstruktiven Form sogar positive Effekte mit sich (2). Das könnte man doch gezielt fördern. Es gibt außerdem drittens aus der kognitiven Verhaltenstherapie konkret in die Wirtschaft übertragbare Ansätze (3).
In meinen Augen wären all das sinnvolle, lösungsorientierte und gangbare Wege aus einer Sackgasse. Aktuell agieren wir jedoch ganz im Gegensatz zum proklamierten Selbstbild der meisten HR- & DIE- & P&C-Profis ausgrenzend, feindselig und überplakativ. Das muss nicht sein. Insbesondere sind konstruktive Ideen zum Umgang mit dem Thema wichtig, weil nachrückenden Generationen aus verschiedenen Gründen ein stärker ausgeprägter Narzissmus zueigen ist. Es wäre ein Jammer, wenn wir weiterhin so negativistisch auf eine Persönlichkeitseigenschaft blicken würden.
Schon klar: niemand mag Narzissmus. Aber das bedeutet doch nicht, dass wir das Problem durch Aussieben oder Ignorieren lösen sollten oder können. Da gibt es bessere Alternativen. Drei konkrete Vorschläge stehen oben.
So weit einige Gedanken für einen konstruktiven Umgang mit Narzissmus. Was meint Ihr? Bin gespannt auf Eure Perspektiven.
Literatur
(1) Bergman, S. M., Fearrington, M. E., Davenport, S. W., & Bergman, J. Z. (2011). Millennials, narcissism, and social networking: What narcissists do on social networking sites and why. Personality and individual differences, 50(5), 706-711.
(2) Owens, B. P., Wallace, A. S., & Waldman, D. A. (2015). Leader narcissism and follower outcomes: The counterbalancing effect of leader humility. Journal of applied psychology, 100(4), 1203.
(3) Sosik, J. J., Chun, J. U., & Zhu, W. (2014). Hang on to your ego: The moderating role of leader narcissism on relationships between leader charisma and follower psychological empowerment and moral identity. Journal of business ethics, 120(1), 65-80.
(4) Campbell, W. K., & Miller, J. D. (2011). The handbook of narcissism and narcissistic personality disorder. Hoboken, NJ: John Wiley & Sons.
Photo von Marija Zaric auf Unsplash
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